Herbstkonzert 2022
Sonntag, 23 Oktober 2022, 17 Uhr, Kirche BlumensteinMusiker
- Girolamo Bottiglieri, Violine
- Daniel Meller, Violine
- Lech Antonio Uszynski, Viola
- Mirjana Reinhard, Cello
- Susanne Peters, Flöte
- Markus Niederhauser, Klarinette
- Julie Palloc, Harfe
- Yuka Oechslin, Klavier
Programm
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Rebecca Clarke (1886 - 1979)
Poem für Streichquartett
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Claude Debussy (1862 - 1918)
Danse sacrée et danse profane für Harfe und Streichquartett, L.113
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Sofia Gubaidulina (*1931)
Garten von Freuden und Traurigkeiten für Flöte, Viola und Harfe
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Maurice Ravel (1875 - 1937)
Introduction et Allegro für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett, M.46
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Rebecca Clarke (1886 - 1979)
Morpheus für Viola und Klavier
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Galina Ustvolskaya (1919 - 2006)
Trio für Klarinette, Violine und Klavier- Espressivo
- Dolce
- Energico
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Amy Beach (1867 - 1944)
Klavierquintett in fis-Moll, Op.67- Adagio - Allegro moderato
- Adagio espressivo
- Allegro agitato
Aufgrund eines Zerwürfnisses mit ihrem Vater zur Selbstversorgung gezwungen, hielt sich Rebecca Clarke als Instrumentalistin über Wasser. Diese Unannehmlichkeit resultierte in einer besonders erfolgreichen Karriere: Sie tourte durch die ganze Welt und spielte sowohl solo als in verschiedenen kammermusikalischen Zusammensetzungen. Dabei war die Gattung des Streichquartetts etwas, das sie ihr Leben lang begleitete: Als junges Mädchen sollte sie das Violinspiel erlernen, um im familiären Kreis Kammermusik spielen zu könne, als Interpretin spielte sie sowohl das ganze klassische als auch das zeitgenössische Repertoire und auch als Komponistin schrieb sie etliche Werke für diese Besetzung. Das 1926 komponierte Poem ist eines davon. Teile des Manuskripts wurden erst etliche Jahre später in der Berkeley Bibliothek aufgefunden; uraufgeführt wurde es erst posthum in 1994. In ihrer Karriere als Solo-Bratschistin bemerkte sie rasch die recht spärliche Literatur für Viola solo, die sie mit mehreren eigenen Kompositionen ergänzte. Dazu gehört beispielsweise die 1918 uraufgeführte Komposition Morpheus. Etwas gehemmt ihren Namen auf dem Konzertprogramm unter vielen grossen und bekannten Komponisten aufzuführen, verwendete sie das Pseudonym Anthony Trent. Ironischerweise fand das Stück so enormen Anklang bei der Presse, die gewöhnlich eher reserviert auf ihre Werke reagierte. Dies bestärkte sie leider in der, in dieser Zeit gängigen, Annahme, Frauen könnten beziehungsweise sollten eigentlich nicht komponieren. Wenn sie es dennoch versuchten, gelang es ihnen laut Clarke nur mit voller Konzentration und ungeteilter Aufmerksamkeit; einer der Gründe für ihr eher übersichtliches Oeuvre. Dass Clarke aber unbedingt komponieren sollte, beweist sie auch mit Morpheus. Ein beeindruckendes Werk, das sich an die impressionistische Klangsprache Debussys oder Vaughan Williams orientiert und dem griechischen Gott der Träume mit seiner ätherischen, entrückten Atmosphäre ein Ständchen bringt.
Auch Debussy selbst bediente sich bei seinen Kompositionen oft der griechischen Mythologie oder erschuf transzendente, spirituelle Musik. Mit Danse sacrée et danse profane setzte er dabei auf eine Kombination von Spiritualität und Weltlichkeit: ein geistlicher langsamer Schreittanz fliesst dabei in einen leicht beschwingten profanen Tanz über. Das Werk war 1904 eine Auftragskomposition für einen etwas ungewöhnlichen Zweck: Ein Musikstück für die Firma Pleyel, das ihr neues Harfensystem bewerben sollte, die chromatische Harfe. Im Versuch die bisherigen diatonischen in chromatische Harfen zu verwandeln konkurrierte Pleyel mit dem Klavier- und Harfenbauer Érard. Dieser beauftragte, als Reaktion auf Debussys Werbetänze, Maurice Ravel mit der Komposition eines Werkes, das die Schönheit und Spielbarkeit ihrer Instrumente vorzeigen soll. So entstand 1905 Introduction et Allegro; ein meisterhaft instrumentiertes Septett für Harfe, Flöte, Klarinette und Streichquartett, das dem Direktor von Érard, Albert Blondel, gewidmet ist. Obwohl auf die Schnelle komponiert – „eine Woche Arbeit und drei schlaflose Nächte” sollten laut Ravel genügen, das Stück zu beenden – ist dieses Werk mehr als blosse kompositorische Routine. Mit seinen flirrenden Klangteppichen, Arpeggien und exotischen Inspirationen, wie spanische Rhythmen und Gamellanklänge, präsentiert das Stück die ganze Palette an Möglichkeiten des neuen Instruments und vermittelt dabei „ein überschäumendes Gefühl der Freude” (Arbie Orenstein).
Dass der Harfe die Klangwelt des fernen Ostens besonders liegt, wusste auch Sofia Gubaidulina. So setzte die russische, stilistisch extrem vielfältige Komponistin in ihrem Trio Garten von Freuden und Traurigkeiten auf eine Versöhnung von westlichen, typisch avantgardistischen Klängen mit asiatischen Farben. Besondere Spieltechniken exotisieren die Instrumente vorübergehend; ähnlich dem Klang einer Bambusflöte, eines Zithers oder Gamellan. Die meditative Ruhe und der wellenartige Aufbau unterstreichen die fernöstliche Inspiration. Gubaidulinas sehr erzählender Musik liegen oft aussermusikalische Einflüsse, häufig literarische Texte, zugrunde. So auch bei diesem 1980 entstandenen Trio, wo Gubaidulina ein Gedicht Francisco Tanzers rezitativ einwebt. Bei ihrer Musik setzt Gubaidulina laut eigener Aussprache „alle musikalischen Mittel, die in der Welt existieren“ ein und ist es ihr unwichtig „in einer bestimmten Tradition zu stehen“. Dies gilt auch für die ebenfalls aus Russland stammende Komponistin Galina Ustvolskaya. Die Kompositionsschülerin Schostakowitsch’ fühlte sich keiner Schule verbunden und entwickelte mit ihrer aparten Herangehensweise an Melodien einen eigenen unverwechselbaren Klang, der bereits im 1949 entstandenen Trio zum Vorschein tritt. Ihr Lehrer Schostakowitsch war restlos von ihre Arbeit überzeugt: Er zitierte ihre Themen in eigenen Werken, schenkte ihr Handschriften und schickte ihr seine neuesten Kompositionen zur Durchsicht. Er ging sogar soweit zu behaupten, dass „nicht Du Dich unter meinem Einfluß befindest, sondern ich mich unter Deinem.“ So sehr Ustvolskaya ihn als Person schätzte, so wenig reizte sie seine „trockene und seelenlose“ Musik. Eine Aussage, die sie in den 90er-Jahren mit der ganzen Welt teilte und damit einen regelrechten Skandal auslöste. Vermutlich einer der Gründe, weswegen ihre Musik bis heute in Russland sehr wenig aufgeführt wird. Ihre kompromisslose, eigensinnige Art übersetzt sich auch in ihrer dunklen, düsteren musikalischen Sprache. Freund und Kollege Viktor Suslin beschrieb ihre Musik als „aus dem schwarzen Loch Leningrads, das Epizentrum kommunistischen Terrors“ kommend: Eine Metapher, die Ustvolskaya trotz nicht bestehendem Interesse an politischer, sozialer oder geschichtlicher Thematik ganz selbstironisch in Bezug auf ihre eigene Arbeit übernahm.
Eine weitere interessante Persönlichkeit aus dem Kreis der immer noch weniger bekannten Komponistinnen des 20. Jahrhunderts ist die amerikanische Amy Beach. Als virtuose Pianistin vor allem für ihre Klavierwerke bekannt war sie auf ihrem Kontinent auch die erste Frau, die sich an die Komposition einer Sinfonie wagte und so jegliche Genderrolle durchbrach. Musikalisch liess sie sich von der deutschen Spätromantik inspirieren. Mit ihrer anspruchsvollen Harmonik und ausgesprochener melodischer Begabung erschuf sie 1909 mit dem absolut hörenswerten Klavierquintett in fis-Moll ein „träumerisches, sinnliches Werk in Brahmsscher Manier…“.